Uncomfortable Journey
 
Einblicke in die Realisierung dieses Projekts:

Die Tanztheatergruppe lay out zählt 18 Tänzerinnen im Alter von 15 bis 31 Jahren, die zum Teil noch Schülerinnen oder auch Studentinnen sind, zum Teil schon im Berufsleben stehen. Entwickelt hat sich die Gruppe vor etwa 3 1/2 Jahren aus einer Tanztheater AG einer Frankfurter Schule, an der die Choreografin / Pädagogin Bea Blell unterrichtet. Viele der damaligen Mitglieder sind bis heute dabei geblieben, obwohl sie die Schule schon längst abgeschlossen haben.

Die letzten beiden Produktionen unserer Gruppe, eher ernst als jandl, oder der schlafanzug als solcher und Mitundgegen, tod dem hahn es lebe das dreieck! waren sehr erfolgreich und fanden große Resonanz bei Publikum und Presse. Sie wurden deshalb zahlreich wiederaufgeführt, unter anderem auch auf Einladung im Jugendstiltheater in Wien.

Wie schon die vorherigen Aufführungen, finanzieren wir unser neues Projekt komplett selbst, d.h. die Kosten für Bühnenbild, Kostüme, Programme, Plakate, Requisiten, GEMA, Miete, Eintrittskarten, Techniker u.s.w. müssen von unseren Einnahmen abgedeckt werden.

Insgesamt bedeutet die Aufführung dieses Stückes jedoch vor allem die Bereitschaft der gesamten Gruppe, eineinhalb Jahre lang intensiv miteinander zu arbeiten. Einmal wöchentlich trainieren alle gemeinsam 3-4 Stunden das ganze Jahr hindurch, ohne Ferienunterbrechung, ein zweites Mal wöchentlich in unterschiedlicher Besetzung, viele darüber hinaus je ein bis zwei weitere Male in diversen Ballettschulen. Etwa dreimal im Jahr tanzen wir eine ganze Woche gemeinsam und in der Endprobenphase (von Februar bis Juli 98) haben wir sechs Intensivtrainingsphasen von jeweils 5 Tagen am Stück (6 Stunden täglich) absolviert, das bedeutete alle Feiertagswochenenden gehörten dem Tanzen.

Umfangreiche Lektüre von Marcuse über Hieronymus Bosch und Lillian Rotter gehörten ebenso dazu wie Streifzüge über Flohmärkte und die "Jagd nach dem Gelde".

Der Choreografin schließlich fließen die Choreografien nicht während des Trainings "aus den Füßen", sie wollen wohlüberlegt, vorbereitet, ausprobiert und organisiert sein.

Wieso der Idealismus so weit geht, dass wir nicht nur keinen Pfennig Geld erhalten, sondern alles in die Produktion stecken und sogar noch für Vieles selbst zahlen, fragen wir uns nicht, denn es ist unsere gemeinsame Sache, unser Bestes gegeben zu haben, ein Stück weiter gekommen zu sein, etwas Schönes geschaffen zu haben, von dem wir ein Teil sind und mit dem wir uns identifizieren.

 
Zum Inhalt:

Uncomfortable Journey ist eine (nicht ausschließlich) unbequeme Reise in die Welt der Träume und Alpträume und eine Hommage an Frauen, ihre Stärken und Schwächen, jahrhundertealte Wünsche und Verletzlichkeiten, Eitelkeiten, Ohnmacht und magische Anziehungskraft.

In drei Bildern sollen Alpträume, skurrile Träume und mystische Träume daran erinnern, dass nach Freud nichts, was wir geistig einmal besessen, ganz und gar verlorengehen kann.

Die Choreografie spannt einen Bogen vom Mittelalter (Bosch) über den Beginn dieses Jahrhunderts (Rotter) zur gesellschaftlichen Utopie der möglichen Freiheit, deren Grundbedingung die Fantasie ist (Marcuse). Sie setzt sich auseinander mit Gedanken und Theorien der ungarischen Psychoanalytikerin Litlian Rotter, die sagt, dass ein Mann dann tot sei, wenn der Anblick schöner nackter Frauen ihn nicht mehr bewege. Die Frau bewegt, der Mann wird bewegt. Der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger berichtet über den mittelalterlichen Maler Hieronymus Bosch, dass dieser bereits im 15.Jh einen "utopischen" Begriff von Menschenwürde vertrat, nämlich dass Menschen keinerlei Einschränkungen nach Geburt, Stand, Rang und Vermögen unterworfen sein sollten. Zu einer Zeit, in der angezweifelt wurde, ob man die Frau als Mensch bezeichnen dürfe, betrachtete er als Mitglied der Gemeinschaft des Freien Geistes die Frau als ebenbürtige Partnerin. "Krieg, Eid, Beamtung wurden wie jegliche Gewaltanwendung und Machtbefugnis, radikal verworfen, weil sie mit seiner ethischen Grundanforderung der Freiheit und Freiwilligkeit nicht zu vereinen waren". 1) Den Tod wertete Bosch als ein von Anfang an bestehendes Prinzip der Daseinswelt, das nicht erst um des sündigen Menschen willen sich vererbte.

Hieran scheint Herbert Marcuse 500 Jahre später anzuknüpfen, wenn er sich gegen eine Kultur auflehnt, die auf Mühsal, Herrschaft und Triebverzicht gegründet ist. Kraft der Fantasie, die eine Verbindung zwischen Traum und Wirklichkeit herstellt, kann das Paradies immer wieder von neuem geschaffen werden, es ist keineswegs in irgendeinem fernen Thule.

In der Kunst kann man die Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft leben. Die Kunst ist wie der Traum vielleicht (die sichtbarste) Wiederkehr des Verdrängten.

1) W.Fraenger, Hieronymus Bosch , S.21

 
Zu Hieronymus Bosch:

"Alle bisherigen Beurteiler vertraten die katholische Rechtsgläubigkeit des Malers. Sie haben dadurch seine wesenlichsten Werke auf einen irrigen Meridian visiert, die so in ihren geistigen Voraussetzungen, Spannungen und Zwecken umgebogen und bis zu gänzlicher Unkenntlichkeit enteignet worden sind.

Es ging dem Maler in der Kunstgeschichte, wie es der seinem Schaffen nah verwandten Alchemie in der Kulturgeschichte lang genug ergangen war.

Dem Staate gegenüber nahm der Freie Geist die gleiche ablehnende Haltung wie die späteren Täufer ein. Krieg, Eid, Beamtung wurden, wie jegliche Gewaltanwendung und Machtbefugnis, radikal verworfen, weil sie mit seiner ethischen Grundforderung der Freiheit und Freiwilligkeit nicht zu vereinen waren. - Der Kirche als Machtinstitution standen die Freigeistleute feindlich gegenüber, als Gnadenanstalt haben sie ihr äußerliche Teilnahme, doch innerliche Gleichgültigkeit erwiesen.

Der kosmische und menschliche Universalismus dieser Lehre schließt jene für den Freien Geist so kennzeichnende Toleranz mit ein, welche die Unterscheidung : Christen, Juden, Heiden sub specie aeternitatis überwunden hatte. Vor allem gilt für diesen Kreislauf der zu Gott zurückstrebenden Kreaturen die Hölle nur als zeitbedingte Prüfungsstätte, gleich dem Erdenleben, wodurch die Lehre von der "Wiederbringung Aller" in ihrer Allversöhnlichkeit in strikten Gegensatz zu der dogmatisch festgelegten Ewigkeit der Hullenstrafen tritt.

Mars ianua vitae ( Der Tod ist die Pforte des Lebens).

So wertete er auch den Tod als ein von Anfang an bestehendes Prinzip der Daseinswelt, das nicht erst um des sündigen Menschen willen sich vererbte.

(W.Fraenger' S.12,21'37,54)

 
"Man sagt, der Traum sei ein kurzer Wahnsinn und der Wahnsinn ein langer Traum.

Nichts, was wir geistig einmal besessen, kann ganz und gar verlorengehen.

Mit dem Einschlafen verschwindet unser ganzes Sein "wie hinter einer unsichtbaren Falltür".

Die Seele bleibt auch im Schlaf in fortdauernder Verbindung mit der außerleiblichen Welt.

Man vermeint beim Träumen nicht zu denken, sondern zu erleben, man nimmt also die Halluzination mit vollem Glauben auf. Die Kritik, man habe nichts erlebt, sondern nur in eigentümlicher Form gedacht - geträumt - regt sich erst beim Erwachen."

(S.Freud, Seiten 26, 37, 39, 104)

 
 
Drei Grazien, Ingo Wirth
 
"Die Phantasie spielt eine höchst entscheidende Rolle in der gesamten seelischen Struktur: sie stellt eine Verbindung zwischen den tiefsten Schichten des Unbewußten und den höchsten Hervorbringungen des Bewußtseins (in der Kunst) her, zwischen dem Traum und der Wirklichkeit, sie bewahrt den Archetypus der Gattung, die fortdauernden aber verdrängten Vorstellungen des kollektiven und individuellen Gedächtnisses, die tabuierten Urbilder der Freiheit." (Marcuse S.140)
 
"Die Phantasie in die Sklaverei zu verbannen - selbst wenn es sich um das sogenannte Glück handelt hieße, sich all dessen berauben, was man in seinem eigenen Innersten an höchster Gerechtigkeit findet. Allein die Phantasie gibt mir Rechenschaft über das, was sein könnte." (André Breton, in Marcuse S.148)

Die "Große Weigerung" ist der Protest gegen unnötige

Unterdrückung, der Kampf um die höchste Form der Freiheit, "ohne Angst zu leben".

(Adorno in Marcuse S.149)

 
1 MOSE/GENESIS 19

"Lot saß gerade beim Tor der Stadt. Als er sie kommen sah, ging er ihnen entgegen, warf sich vor ihnen nieder und sagte: "Ich bin euer Diener, mein Haus steht euch offen! Ihr könnt eure Füße waschen und euch erfrischen. Und dann bleibt die Nacht über bei mir! Morgen früh könnt ihr weiterziehen." "Wir wollen lieber im Freien übernachten", sagten die beiden.

Die beiden wollten sich eben schlafen legen, da liefen alle Männer von Sodom, alt und jung, zusammen und umstellten das Haus. "Lot, Lot", riefen sie, "wo sind die Männer, die heute abend zu dir gekommen sind? Gib sie heraus, wir wollen mit ihnen Verkehr haben!"

Lot trat vor das Haus und zog die Tür hinter sich zu. "Begeht doch nicht ein solches Verbrechen!" rief er. "Ich habe zwei Töchter, die noch kein Mann berührt hat. Ich will sie euch herausbringen; macht mit ihnen, was ihr wollt. Aber die beiden Männer behelligt mir nicht; sie sind meine Gäste und stehen unter meinem Schutz."

 
 
Faun, Ingo Wirth
 
"Das Klima dieser Sprache ist das der "Tilgung der Spuren der Ursünde" - ist die Auflehnung gegen eine Kultur, die auf Mühsal, Herrschaft und Triebverzicht gegründet ist. Die Urbilder des Orpheus und Narziß versöhnen Eros und Thanatos. Sie rufen die Erinnerung an eine Welt wach, die nicht bemeistert und beherrscht sondern befreit werden sollte - eine Freiheit, die die Kräfte des Eros entbinden würde, die jetzt noch in den unterdrückten und versteinerten Formen des Menschen und der Natur gefesselt sind. Diese Kräfte werden nicht als Zerstörung, sondern als Friede begriffen, nicht als Schrecken, sondern als Schönheit. Es genügt, die hierher gehörenden Urbilder aufzuzählen, um die Dimension zu umschreiben, der sie verhaftet sind: die Erlösung der Lust, der Stillstand der Zeit, das Ende des Todes, Stille, Schlaf, Nacht, Paradies, das Nirwanaprinzip nicht als Tod, sondern als Leben."

(Marcuse, S.163)

 
"Die Schönheit des Körpers besteht in der Haut allein. Denn wenn die Menschen sähen, was unter der Haut ist, so wie man sagt, daß der Luchs in Böotien das Inwendige sehen könne, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen ekeln. Jene Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle. Wenn jemand bedenkt, was in den Naslöchern und was in der Kehle und was im Bauch alles verborgen ist, dann wird er stets Unrat finden. Und wenn wir selbst nicht mit den Fingerspitzen Schleim oder Dreck anrühren können, wie können wir dann wünschen, den Dreckbeutel selbst zu umarmen?"

( Odo von Cluny in: Fraenger, S.116)

 
1 MOSE/GENESIS 19

"Eines Tages sagte die ältere Tochter zur jüngeren: "Unser Vater wird alt, und weit und breit gibt es keinen Mann, den wir heiraten könnten. Wir geben unserem Vater Wein zu trinken und legen uns zu ihm, damit wir von ihm Kinder bekommen."

Noch am selben Abend machten sie ihren Vater betrunken, und die Altere legte sich zu ihm, ohne daß er es merkte. Am anderen Tag sagte sie zu ihrer Schwester: "Ich habe heute Nacht mit unserem Vater geschlafen. Wir wollen ihm diesen Abend noch einmal Wein zu trinken geben, und dann legst du dich zu ihm, damit auch du von ihm ein Kind bekommst." Als ihr Vater betrunken war, legte sich die Jüngere zu ihm, und auch diesmal merkte er nichts.

So wurden die beiden Töchter Lots von ihrem eigenen Vater schwanger. Die Ältere gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Moab. Er wurde der Stammvater der Moabiter.

Auch die Jüngere bekam einen Sohn und nannte ihn Ben-Ammi (Sohn meines Verwandten). Er wurde der Stammvater der Ammoniter.

 
 
Kopfüber, Ingo Wirth
 
"Narcisse rêve au paradis...

Le paradis est toujours à refaire; il n'est point en quelque lointaine Thulé. II demeure sous l'apparence. Chaque chose détient, virtuelle, l'intime harmonie de son être, come chaque sel, en lui, l'archetype de son cristal; et vienne un temps de nuit tacite, où les eaux plus denses descendent:

dans les abîmes imperturbés fleuriront les trémies secrètes... Taut s'efforce vers sa forme perdue..."

 
,,Narziß träumt vom Paradies...

Das Paradies kann immer wieder von neuem geschaffen werden; es ist keineswegs in irgendeinem fernen Thule. Es besteht unter der äußeren Erscheinung fort. Jedes Ding enthält virtuell seine ureigene Harmonie wie jedes Salz die Urform seines Kristalls in sich trägt.

Und es wird eine Zeit der schweigenden Nacht kommen, in der dichtere Wasser herabfließen: in den Abgründen, in denen sich nichts bewegt, werden die verborgenen Kristalle blühen. Alles strebt nach seiner verlorenen Form... (André Gide, in Marcuse, S.161)

 
"Taut mon sort n'est qu'obéissance

A la force de mon amour.

Cher corps, je m'abandonne à ta seule puissance;

L'eau tranquille m'attire où je me tends mes bras:

A ce vertige pur je ne resiste pas.

Que puis-je, ô ma Beauté faire que tu ne veuilles?"

 
"Mein Schicksal ist allein

der Kraft meiner Liebe zu gehorchen.

Geliebter Körper, ich gebe mich deiner Macht hin;

Das stille Wasser zieht mich an, dem ich meine Arme entgegenstrecke:

Diesem reinen Taumel widerstehe ich nicht.

Wie könnte ich, oh meine Schönheit, etwas tun, was Du nicht wolltest."

(Paul Valéry' in Marcuse, S.162)

 
"Warum sind Frauen solch ein Fluch?" Die Anklage gegen das weibliche Geschlecht, mit der das Kapitel (über Prometheus in Hesiod) schließt, betont vor allem ihre ökonomische Nutzlosigkeit; sie sind zwecklose Drohnen, ein Luxus im Budget des armen Mannes. Ihre Schönheit, das Glück, das sie versprechen, sind in der Arbeitswelt der Kultur nur verhängnisvoll.

(Marcuse, S.160)

 
 
Sprung, Ingo Wirth
 
"Dabei hat das Wort "homines" den Sinn von "Mensch schlechthin", erhebt demnach den Anspruch einer Menschenwürde, welche - auf Adams Gottesebenbildlichkeit beruhend - keinerlei Einschränkungen nach Geburt und Stand, Rang und Vermögen unterworfen ist. Folglich war auch die Unterscheidung zwischen Mann und Weib im höheren Begriff des "homo" aufgehoben. So trat die Frau als ebenbürtiger Partner in den Kreis der Brüder, befreit von der Entmündigung, zu der die Kirche sie verurteilt hatte, und der Geringschätzung enthoben, die ihr Geschlecht zur "Pforte Satans" verschimpfierte oder auf der Synode zu Macon zur Frage stellte, ob man die Frau als Mensch bezeichnen dürfe, von der Verteufelung des weiblichen Geschlechts im "Malleus maleficarum" ganz zu schweigen."

( Fraenger, 5. 17)

 
 
Roh, Ingo Wirth
 
"Wenn Dein Meister stirbt, sollst Du zehn ganze Tage und zehn Nächte lang klagen. Du sollst seinen Körper mit Tapa-Streifen umwickeln und mit Monoi-Öl einreiben. Dann kommen Mädchen mit ausgestreckten Armen, wendigen Hüften und bebenden Händen. Sie sollen mit Liebesgesten und unbekleidet den Leichnam umwerben und sich ihm anbieten. Der Kadaver darf sich nicht rühren. Eines der Mädchen soll sich über ihn beugen und sagen: ,, ,Er hat sich nicht bewegt.' Dann sollst Du ein Loch in die Erde graben, das tabu sein wird." Ein Mann ist dann tot, wenn der Anblick schöner nackter Frauen ihn nicht mehr bewegt. Die Frau bewegt, der Mann wird bewegt."

(Rotter, S.215)

 
"Der Blick vom Rande auf die Mitte kann wohl nur dann möglich sein, wenn die Trauerarbeit über den Verlust der Mitte zumindest ansatzweise geleistet wurde, und die Erkenntnis dämmert, daß die Mitte kein Endziel sein kann, sondern immer nur ein kurzfristiges, sehr beglückendes Geschenk."

(Rotter, S.125)